Pharaoe's Call

Mittwoch, den 12. 1. 2000

 Sechzehnte Ausgabe
- Seite 2 -

Eine kleine Geschichte

Diese Geschichte stammt von Herodot und ist etwa 2400 Jahre alt. Sie handelt von König Ramses III, der etwa 1200 Jahre vor Christus lebte und ist meiner Meinung nach einesteils amüsant und auch in vielerlei Hinsicht zeitlos. Ich habe die Geschichte irgendwo gehört und versuche sie nachzuerzählen.

Man sagte, König Ramses III.  besäße große Silberschätze und zwar von solchem Ausmaße, daß keiner der Prinzen, seiner Thronfolger, je seinen Wohlstand würde erreichen oder gar übertreffen können. Um sein Geld sicher zu verwahren, kam er auf die Idee, eine große Kammer aus geschlagenem Stein bauen zu lassen, die in die Außenwand seines Palastes einzulassen sei. Der Baumeister hatte es auf die Schätze abgesehen und entwarf eine Konstruktion, bei der ein Stein in die Mauer eingelassen wird, der von einem oder zwei Männern bewegt werden kann.
Die Schatzkammer wurde fertiggestellt und das Geld des Königs darin verwahrt
Die Zeit verging, und der Baumeister wurde krank; als er sein Ende nahen sah, rief er seine beiden Söhne zu sich und vertraute ihnen seine Erfindung in der königlichen Schatzkammer an. Er sagte ihnen, er habe es für sie getan, damit sie weiterhin ein gutes Leben führen könnten. Dann erklärte er den beiden, wie der Stein herauszuholen sei, gab ihnen die genauen Maße und beschwor sie, das Geheimnis für sich zu behalten, auf daß sie auf Lebenszeit die Rechnungsprüfer des königlichen Schatzamtes sein würden. Kurze Zeit später verstarb der Vater, und die Söhne zögerten nicht lange und machten sich an die Arbeit. Eines Nachts suchten sie den Palast auf, fanden den Stein, den sie mit Leichtigkeit herauslösten, und plünderten einen Teil des Schatzes.
Als der König das nächste Mal den Raum aufsuchte, war er erschüttert darüber, daß die Gefäße, in denen das Geld verwahrt wurde, nicht mehr voll waren. Er wußte jedoch nicht, wen er beschuldigen konnte, denn die Siegel waren unversehrt und der Raum sicher verschlossen. Doch von Besuch zu Besuch fand er weniger Geld in der Schatzkammer vor. Die Diebe hörten nicht auf, den Schatz weiter zu plündern.
Schließlich ordnete der König an, Fallen neben den Gefäßen aufzustellen, die das Geld enthielten. So geschah es. Als die Diebe das nächste Mal zur Schatzkammer kamen und einer von ihnen durch die Öffnung Zutritt erlangte und sich direkt an die Gefäße machen wollte, fand dieser sich plötzlich in einer der Fallen gefangen. Ihm wurde sofort klar, daß er verloren war. Er rief seinen Bruder zu sich, sagte ihm, was geschehen war, und wies ihn an, so schnell wie möglich hereinzukommen und ihm den Kopf abzuschneiden. So könne man ihn nicht identifizieren, wenn man seine Leiche fände, denn sonst wären beide ruiniert. Der andere befand diesen Rat für gut und ließ sich überreden, ihn zu befolgen. Dann steckte er den Stein an die richtige Stelle zurück und ging mit dem Kopf seines Bruders nach Hause.
Bei Tagesanbruch kam der König in den Raum und staunte nicht schlecht, als er die enthauptete Leiche des Diebes in der Falle vorfand, ohne daß das Gebäude beschädigt worden war und kein Ein- oder Ausgang zu sehen war. In seiner Verblüffung befahl er, den Leichnam an der Mauer des Palastes aufzuhängen und eine Wache davor abzustellen, die den Befehl hatte, jede trauernde oder weinende Person in der Nähe des Palastes sofort festnehmen und zu ihm bringen zu lassen. Als die Mutter davon erfuhr, war sie schwer getroffen. Sie sprach mit ihrem verbliebenen Sohn und beschwor ihn, einen Plan zu schmieden, um den Leichnam irgendwie zurückzubekommen. Sie drohte ihm an, selbst zum König zu gehen und ihn als den Dieb anzuzeigen,
sollte er sich nicht darum kümmern. Der Sohn tat sein Bestes, die Mutter davon zu überzeugen, die Sache ruhen zu lassen, doch es nutzte nichts. Er mußte sich ihrer Hartnäckigkeit beugen und entwarf folgenden Plan: Er füllte einige Schläuche mit Wein und lud sie auf Esel, die er vor sich her trieb, bis er zu dem Palast kam, wo die Wachen auf den Leichnam aufpaßten. Dort zog er zwei oder drei Schläuche an sich heran und entknotete die Hälse, die an den Eseln herunterbaumelten. Der Wein begann zu fließen.
Daraufhin fing er an, so laut zu schreien wie er konnte, scheinbar ohne zu wissen, welchem Esel er sich zuerst zuwenden müsse. Als die Wächter den Wein fließen sahen, rannte einer nach dem anderen auf die Straße, um die Gelegenheit zu nutzen, den Wein mit irgendwelchen Gefäßen aufzufangen. Der Treiber gab vor, wütend zu sein, und überhäufte sie mit Flüchen, woraufhin die Wächter sich bemühten, ihn zu beruhigen. Schließlich ließ er vom Schimpfen ab und schien seine gute Laune wiedergefunden zu haben. Er führte seine Esel an die Seite der Straße und machte sich daran, die Last wieder in Ordnung zu bringen. Während er mit den Wächtern plauderte, gelang es einem der Wächter, ihn zu erheitern und sogar zum Lachen zu bringen, woraufhin er ihm einen Schlauch Wein schenkte. Nun änderten sie ihre Meinung und setzten sich nieder, um sich an Ort und Stelle zu betrinken und drängten darauf, daß er ihnen Gesellschaft leistete und mit ihnen tränke. Der Mann war leicht überredet und blieb.
Das Trinken ging immer weiter, und es wurde immer freundschaftlicher, und so gab er ihnen noch einen Schlauch Wein, den sie so reichlich genossen, daß sie von der Wirkung des Alkohols schließlich schläfrig wurden und auf der Stelle einschliefen. Der Dieb wartete bis tief in die Nacht und holte dann den Leichnam seines Bruders herunter; dann schnitt er den Wächtern zum Spott die rechte Seite der Bärte ab und ließ sie derart verunstaltet liegen. Den Leichnam seines Bruder legte er auf einen Esel und brachte ihn heim zu seiner Mutter, womit er ihrem Willen entsprochen hatte.
Der König war äußerst verärgert, als ihm zu Ohren kam, daß der Leichnam des Diebes gestohlen worden war. Er wollte den Mann erwischen, der ihn vorgeführt hatte, koste es, was es wolle, und überlegte, einen Köder zu legen, was unglaublich klingen mag. Der König verkündete, dem Mann die Hand seiner Tochter zu versprechen, der ihr die beste Geschichte seiner listigsten und seiner schlimmsten Tat erzählte. Sollte ihr jemand die Geschichte des Diebes erzählen, so solle sie ihn festhalten und nicht fortkommen lassen.
Die Tochter folgte dem Wunsch ihres Vaters, woraufhin der Dieb, der die Absicht des Königs längst durchschaut hatte, das Verlangen verspürte, ihn in seiner List und Tücke noch zu übertreffen. Deswegen dachte er sich folgenden Plan aus: Er beschaffte sich den Leichnam eines kürzlich verstorbenen Mannes, schnitt ihm einen Arm von der Schulter ab, verbarg diesen unter seinem Mantel und machte sich auf den Weg zur Tochter des Königs. Als sie ihm nun die gleiche Frage stellte wie all den anderen, gab er zur Antwort, das Schlimmste was er je getan habe, sei gewesen, den Kopf seines Bruders, der in des Königs Schatzkammer in eine Falle geraten war, abzuschneiden, und das Listigste, die Wachen betrunken zu machen und dann den Leichnam seines Bruder mitgenommen zu haben. Während er sprach, versuchte die Prinzessin ihn festzuhalten, doch der Dieb nutzte die Gunst der Dunkelheit, und reichte ihr die Hand des Toten. Da sie vermeinte, seine wirkliche Hand zu halten, griff sie zu und hielt sie fest. Der Dieb ließ sie gewähren und entkam durch die Tür. Als der König nun vom erneuten Erfolg dieses Mannes erfuhr, bewunderte er dessen Klugheit und Kühnheit und sandte Boten in alle Städte seines Reiches, um die Straffreiheit für den Dieb zu verkünden und ihm eine reiche Belohnung in Aussicht zu stellen, wenn er zu ihm käme und sich ihm zu erkennen gebe. Der Dieb nahm den König beim Wort und war so kühn, sich ihm vorzustellen. Dafür bewunderte ihn der König sehr. Er nannte ihn einen der weisesten Männer des Landes und versprach ihm die Hand seiner Tochter. »Die Ägypter,« so sprach er, »haben den Rest der Welt stets in Weisheit übertroffen, dieser Mann aber war noch weiser als alle anderen Ägypter.«
 

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